Milk inside a bag of milk inside a bag of milk

Lange dauert „Milk inside a bag of milk inside a bag of milk“ nicht an. Der Eindruck dieser 20-minütigen Visual Novel ist dafür umso einprägsamer. Es wird einmal mehr bewiesen, dass Videospiele für eine drückende Wirkung keine ausartende Spielzeit benötigen.

Bereits der Art Style sticht direkt ins Auge, und die Vorschau auf dem Cover wird entlang des Spiels perfekt ausgefüllt. Der Pixel-Look in Kombination mit der in pink, lila und schwarz gefangenen Farbpalette ist ein unverkennbares und einzigartiges Merkmal. Dieser Minimalismus ist auch in der Spielmechanik selbst zu finden (erwartbar für eine Visual Novel). Ihr erlebt eine erzählte Geschichte mit eingestreuten Dialogoptionen. Diese wirken sich auf das Spiel aus, allerdings sind die Pfade sehr beschränkt. Neben dem regulären Ende gibt es eine Art Spielabbruch (kein Fußballkontext), welcher das Spiel ebenfalls beendet.

Aber worum geht es überhaupt?

In dem Spiel von Nikita Kryukov sollt ihr einem unbenannten Mädchen helfen, in den Konsum zu gehen und Milch zu kaufen. Der Titelbildschirm beginnt mit der Aussage „Help me buy milk!“ und fordert euch anschließend prompt auf, euren Namen einzugeben. Danach geht es los.

Schnell wird klar, dass sich der Dialog zwischen euch und der Protagonistin in ihrem Kopf abspielt. Wir nehmen die Umgebung durch ihre Augen wahr und stehen ihr mit Dialogoptionen auf dem Weg zum Supermarkt bei. Zu Besuch in fremden Köpfen.

Die Gedanken der Protagonistin sind von Zweifeln und neurotischem Verhalten übersät. Es fällt ihr schwer, sich in der Welt zurechtzufinden und selbst einfache Aufgaben gestalten sich als grobe Herausforderungen.

Milk inside a bag of milk inside a bag of milk“ stellt hinter seiner verzerrt-düsteren Fassade das Leben mit psychischen Erkrankungen dar, und macht es auf diese Weise annähernd erfahrbar (sofern ein solches Erleben sich überhaupt transportieren lässt). Konkret befasst es sich mit der Posttraumatischen Belastungsstörung unserer Charakterin und den daraus resultierenden Zwangsstörungen. Über die Charakterin sagt Nikita Kryukov in einem Interview folgendes:

„You could say that Milk-chan is me. But that doesn’t come close to revealing anything, because I’m not sure who I am in the first place. You could say that Milk-chan is a collective image of people suffering mental disorders. But I’m not a doctor and don’t know much about them. You can speculate endlessly, but the truth is somewhere between the lines.”

Am Anfang der Produktion bestand die Spielidee daraus, düstere Umgebungen mit einem sehr einfachen Handlungsstrang zu kombinieren. Erst darauf folgte der Entschluss, eine Hauptfigur mit psychischer Erkrankung in den Fokus zu rücken. Es lässt sich darüber streiten, ob das eine angemessene Art und Weise ist, diese Thematik in ein Kunstmedium zu leiten. Dennoch ist schlicht das Befassen mit der mentalen Gesundheit trotz fiktiver Erfahrung eine willkommene Abwechslung in einem Gefilde, in dem doch sonst immer die lupenreinen und alleskönnenden Held:innen gesteuert werden. Unterm Strich sind Darstellung und Umgang mit dem Thema angemessen umgesetzt und bieten einen kleinen, selbst erschafften Einblick; nicht mehr und nicht weniger.

Das Verfolgen der Handlung wird von einem unwohligen Ambient-Sound untermauert und sorgt innerhalb der Szenen für Stimmung. Die Töne gehen dabei mal mehr, mal weniger unter die Haut, während ihr euch fragt, ob das grad meine oder deine Worte auf dem Bildschirm sind und die Grenzen von Vorstellung und Gedanken immer weiter verschwimmen.

Was du wahrnimmst, ist nur deine Realität. Und die baust du dir selbst. Die Frage ist, wie leicht sie dir ausgeredet werden kann. Die schwarz-pinke Konfusion von „Milk inside a bag of milk inside a bag of milk“ lässt darüber nachdenken.

MILK INSIDE A BAG OF MILK INSIDE A BAG OF MILK • NIKITA KRYUKOV • 2020 • PC, Switch, PS VITA (unofficial port)